Auf fremden Sockeln: Ansichten über Königsberg, Leben in Kaliningrad

Königsberg fällt in die Hände der Roten Armee

Königsberg blieb aufgrund seiner abgelegenen Lage am äußersten Nordostrand Deutschlands über längere Zeit von den Einwirkungen des Zweiten Weltkriegs verschont. Erst Ende August 1944 erlitt die zur „Festung“ erklärte Stadt schwerste Zerstörungen durch britische Luftangriffe und ergab sich wenige Wochen vor Kriegsende nach der Schlacht um Königsberg am 9. April 1945 der Roten Armee. Deshalb besteht auch der historische Stadtteil beinahe gänzlich aus Ruinen, darunter das Schloss, Kirchen der Innenstadt, das alte Speicherviertel sowie die alte und neue Universität.

Ursprung des Namens Kaliningrad

1946 wurde Königsberg nach dem gerade verstorbenen sowjetischen Präsidenten Michail Iwanowitsch Kalinin umbenannt, obwohl es zwischen Stadt und Namensgeber keinen nachvollziehbaren Zusammenhang gab. Der zweite Wortteil „grad“ bedeutet im Russischen „Stadt“. Da der Name Königsberg aufgrund seiner historischen Bedeutung in deutschen Publikationen weit verbreitet ist, setzte sich der City-Manager Kaliningrads, Felix Lapin, für eine Rückbenennung aus. Ebenso der Gebietsgouverneur Georgi Boos hält die Etablierung des ursprünglichen Stadtnamens prinzipiell für möglich.

Außerdem blieb in der Umgangssprache Königsberg in russifizierter Form als Kjonigsberg (russisch Кёнигсберг) erhalten. Weil diese Namensvariation von Teilen der russischen Bevölkerung akzeptiert wird – sie ist insbesondere als Bezeichnung von gastronomischen und touristischen Einrichtungen und in der Werbung gebräuchlich –, spielt sie in der Diskussion um den möglichen zukünftigen Namenswechsel eine wesentliche Rolle. In Anlehnung an das tschechische Královec und das polnische Królewiec wünschen sich kleine Teile der russischen Stadtbevölkerung die Umbenennung der Stadt in Korolowez. Wieder ein anderer kleiner Bevölkerungsteil hätte die Stadt gerne in Kantgrad umbenannt – nach dem Philosophen Immanuel Kant, der hier 1724 geboren wurde.

Wandlung Königsbergs unter sowjetischem Einfluss

Entsprechend dem Potsdamer Abkommen wurde der Nordteil der deutschen Provinz Ostpreußen mit ihrer Hauptstadt Königsberg vorerst unter die Verwaltung der Sowjetunion gestellt, zumindest solange, bis eine endgültige territoriale Festlegung durch eine Friedensregelung erfolgen würde. Doch Josef Stalin erhob Anspruch auf den „urslawischen Boden“ und strebte eine Annektierung an, die womöglich auch dadurch motiviert war, dass Russland keine eisfreien Häfen zur Ostsee hatte. Die Eingliederung in die Russische Sowjetrepublik erfolgte schließlich am 7. April 1946.

Hochhaussiedlungen in der Plattenbauweise

Plattenbau-Siedlung (© Suigres1, Wikimedia Commons)

Für die in etwa 25.000 verbliebenen deutschen Einwohner bestand zunächst Ausreiseverbot. Die örtlichen Behörden planten, diese als nützliche Arbeitskräfte einzusetzen und einzubürgern. Dazu kam es jedoch nicht, da am 11. Oktober 1947 Stalin den Befehl zur Aussiedlung erteilte. Viele Deutsche kamen dem ohnehin zuvor, indem sie im Sommer 1947 vermehrt Ausreiseanträge stellten.

Kaliningrad wurde seit den 1950er Jahren als militärischen Sperrgebiet abgeschottet. Sie sollte zu einer Musterstadt werden. Im Zuge der Verwirklichung dieser Idee wurden 1969 die Überreste des ohnehin schon zerstörten Königsberger Schlosses durch Sprengung beseitigt. Das neben dem ehemaligen Schloss errichtete Rätehaus blieb bis heute eine Bauruine. In der Nachkriegszeit wichen sämtliche Ruinen der ehemaligen Königsberger Innenstadt weitläufigen Grün- und Freiflächen oder wurden mit Hochhaussiedlungen in der damals typischen Plattenbauweise bebaut.

Westliche Besucher konnten Kaliningrad bis 1992 nur schwer erreichen. Erst 1990 besann man sich unter offizieller Förderung auf die beinahe 700-jährige deutsche Vergangenheit der Stadt zurück.

Kaliningrad im Schoss der Russischen Föderation

Als die baltischen Staaten ihre Unabhängigkeit erlangten, wurde das Gebiet zur russischen Exklave. Die Stadt Kaliningrad wurde zu ihrem Zentrum erkoren. Seit 1992 haben sich viele Russen aus den baltischen Staaten wie auch aus anderen ehemaligen UdSSR-Republiken, wo sie mittlerweile eine Minderheit bildeten, in Kaliningrad angesiedelt. Ebenso zogen zahlreiche in der Stalin-Zeit in die asiatischen Teile der Sowjetunion verschleppten Russlanddeutschen, mit ihren vornehmlich russischen Familienmitgliedern hierher, um sich später nach Deutschland abzusetzen.

Königsberger Dom (2017)

Königsberger Dom (2017) (© A. Savin, Wikimedia Commons)

Am 1. Juli 2005 feierte die Stadt ihr 750. Bestandsjubiläum. Im Zuge dieser Feierlichkeiten wurde die Restaurierung des Doms wie auch des

Süd-(Haupt-)bahnhofs fortgesetzt. Man eröffnete Einkaufszentren am Siegesplatz, welcher das Stadtzentrum repräsentieren sollte. Auch die Christ-Erlöser-Kathedrale, deren Inneres noch unvollendet ist, wurde im Rahmen des Jubiläums eröffnet. Für diese Projekte sowie für noch anstehende Bauvorhaben stammen die Gelder von Firmen und privaten Investoren. Auch die Staatsgelder werden für diesen Zweck verwendet.

Erwähnenswert ist in diesem Kontext auch der aus Kaliningrad stammende Architekt Arthur Sarnitz, dessen ambitioniertes Projekt eine möglichst originalgetreue Rekonstruktion der Altstadt sowie des Kneiphofs des ehemaligen Königsbergs nach alten historischen Bildaufnahmen und Bauplänen vorsieht.

2011 wurde die Möglichkeit der Bildung eines Föderationskreises Königsberg sowie die Herauslösung der Oblast aus dem Föderationskreis Nordwestrussland diskutiert, mit dem Ziel die Ökonomie des Gebietes der regionalen Regierung zu überlassen. Vom 14. Juni bis 15. Juli 2018 wird Kaliningrad ebenfalls einer der Austragungsorte der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland sein.

Bevölkerung

Während vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 372.000 Menschen in Königsberg lebten, ging die Einwohnerzahl der Stadt bedingt durch die Auswirkungen des Krieges sowie Vertreibung und Flucht auf 73.000 zurück. Durch Russifizierung der sowjetischen Regierung sowie gezielte Ansiedlungspolitik konnte die vorwiegend russische Bevölkerung bis 1959 auf über 200.000 ansteigen. Bis 1989 verdoppelte sie sich sogar. Gegenwärtig leben circa 470.000 Menschen in Kaliningrad.

Ethnisch betrachtet, setzt sich die Bevölkerung zu 87,4 % aus Russen, 4 % Ukrainern, 3,8 % Weißrussen, 0,8 % Armeniern, 0,5 % Tataren und jeweils 0,4 % Litauern, Aserbaidschanern und Deutschen zusammen. Zusätzlich machen die Polen und Usbeken je 0,3 % der Einwohner aus.

Die meisten Kaliningrader sind russisch-orthodox. Seit 1991 sind jedoch auch viele evangelische Gemeinden im Königsberger Raum ansässig. Die Anhänger der katholischen Kirche, die vor allem aus Litauen und Polen stammen, zählen in etwa 4.500 Mitglieder. Sogar eine kleine jüdische Gemeinde kann die Stadt aufweisen.

Stadtregierung

Im November 2017 wurde Alexander Jaroschuk zum dritten Mal in Folge Bürgermeister der Stadt, trat dann aber im März 2018 von seinem Amt zurück. Die Exekutivmacht wird durch die Stadtverwaltung ausgeübt, welche aus dem regierenden Bürgermeister sowie der Stadtregierung besteht. Sowohl der Bürgermeister als auch der Vizebürgermeister werden durch die Einwohner Kaliningrads auf vier Jahre gewählt. Die Stadtduma hingegen stellt die Legislative, welche sich aus Abgeordneten zusammensetzt, die den Bürgermeister überwachen.

Heutiges Kaliningrad

Gegenwärtig erscheint Kaliningrad als pulsierende Metropole mit futuristischen Bauten, heftigem Verkehr sowie Preisen, die Moskau oder St. Peterburg im Nichts nachstehen. Auch wenn kuriose Kontraste im Stadtbild nicht ausbleiben, so ist doch ein Wille für eine gemeinsame Zukunft merkbar. Letztere ist womöglich auch davon abhängig, wie gut es gelingen wird die Reiseschranken zwischen der EU und der russischen Exklave abzubauen.

Die nachfolge Dokumentation fasst in kurzen aber dennoch aussagekräftigen zwei Minuten die Entwicklung der Stadt Königsberg als Kaliningrad bis in die Gegenwart zusammen.