Der Germane ist die Seele unserer Kultur. ~ Houston Stewart Chamberlain
Kindheit und Jugend
Houston Steward Chamberlain wurde am 9. September 1855 in Portsmouth, England, im Stadtteil Southsea als Sohn des britischen Konteradmirals William Charles Chamberlain und dessen Frau Eliza geboren. Chamberlains Mutter verstarb gleich nach seiner Geburt, wonach er und seine Brüder bei der Großmutter in Versailles bei Paris aufwuchsen.
1866 kehrte Chamberlain wieder nach England zurück. Als sensibler und scheuer Junge kam er in seiner neuen Schule nicht zurecht. Das Fremdsein im eigenen Land sowie die spätere Hinwendung zum Deutschen mögen sich bereits in dieser frühen Jugendzeit entwickelt haben. 1869 zog Chamberlain nach Frankreich zu seiner Tante und bereiste mit ihr die nächsten neun Jahre Europa.
Chamberlains Liebe zum Deutschtum erwacht
Während der nächsten neun Jahre erhielt Chamberlain Privatunterricht beim deutschen Theologiestudenten und späteren Pastor der deutschen evangelischen Gemeinde in San Remo, Otto Kuntze. Dieser förderte Chamberlains Interesse an Shakespeare und den Naturstudien und unterstützte seine neu erwachte Liebe zum Deutschtum. So begann sich Chamberlain neben französischen Klassikern vermehrt mit der deutschen Literatur zu beschäftigen und favorisierte vor allem die Werke Goethes, Schillers und Kants. Daneben unternahm er zahlreichen Reisen ins Ausland.
Auf Drängen seines Vaters hin kehrte er 1873 nach England zurück, da sich dieser für seinen Sohn eine Karriere in der britischen Armee vorstellte. Doch Chamberlain brachte keinerlei Ambitionen für die Vorstellungen seines Vaters auf, was ihm seine wiederholte Rückkehr nach Frankreich erleichterte. Im darauffolgenden Winter lernte er dann in Cannes seine spätere erste Frau Anna Horst kennen. Die beiden heirateten nach dem Tod seines Vaters 1878 und unternahmen mehrere Monate lang Reisen durch Europa. Schließlich ließ sich das junge Paar 1879 in Genf nieder, wo Chamberlain mit dem Studium der Botanik an der Universität Genf begann und welches er noch im selben Jahr in Dresden fortsetzte.
Baccalaureus in Dresden und Wagners Musik
Chamberlains Fleiß und Ehrgeiz brachten ihm bereits 1881 den Baccalaureus-Abschluss ein und er fing an seine Doktorarbeit zu verfassen, die sich mit dem Wurzeldruck bei Pflanzen befasste.
In Dresden gefiel ihm insbesondere das kulturelle Angebot an Theater und Musik. Inspiriert von seinem ersten Besuch in Bayreuth bei den von Richard Wagner geleiteten Opern-Festspielen, wurde Chamberlain von nun an zum leidenschaftlichen Verehrer Wagners, der für ihn der Inbegriff deutscher Kulturgröße war. Außerdem setzte er sich mit der Geistesgeschichte der deutschen Klassik und des deutschen Idealismus auseinander und vertiefte sich in das Studium von Platon und Kant, die in seinen späteren Werken eingehende Betrachtung fanden.
Daneben brachte er sich auch aktiv im lokalen Wagner-Club ein, wo sein 1888 publizierter erster deutschsprachiger Artikel die Aufmerksamkeit von Cosima Wagner und des sogenannten inneren Wahnfried-Zirkels auf sich lenkte. Mit ersterer verband den introvertierten Chamberlain seit jeher eine lebenslange Freundschaft, die auch im umfangreichen Briefwechsel Ausdruck fand.
Chamberlain in Wien
1888 zog Chamberlain nach Wien. Er beschloss seine Doktorarbeit, die er im Rahmen seiner in Genf begonnenen naturwissenschaftlichen Studien begonnen hatte, endlich zum Abschluss zu bringen. Doch als er sie beendete, hatte er kein Interesse mehr daran sie der Universität Genf vorzulegen. Auch ohne den akademischen Titel waren ihm Ruhm und Anerkennung zuteil. Damit beschloss der bekennende Dilettant sein Leben nun voll und ganz der Schriftstellerei zu widmen. In diesem zweiten großen Zentrum des Wagnerkultes, widmete sich Chamberlain der Arbeit an seinem ersten größeren Werk – der zweibändigen Monographie zu Richard Wagner, die schließlich 1895 veröffentlicht wurde und den Schwerpunkt auf die Beweggründe Wagners in den Bereichen der Musik, Philosophie und Politik legt.
Auf Cosima Wagners Empfehlung hin liest Chamberlain Graf Joseph Arthur de Gobineaus Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen. Mit diesem Buch setzte sich in ihm zunehmend der Gedanke fest, die deutsche Kultur müsse von den Folgen „rassischer Durchmischung“ und Fremdeinflüssen geschützt werden.
Von Gobineaus Rassenlehre und den Schriften Wagners beeinflusst, begann Chamberlain 1896 an seinem Hauptwerk, den Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts, zu schreiben. Diesen Literaturkoloss von 1200 Seiten schloss er in nur 19 Monaten ab und schuf damit ein Standardwerk des theoretischen Rassenantisemitismus, welches großen Einfluss auf die Vorstellungen Alfred Rosenbergers und Adolf Hitlers hatte. Doch es waren nicht nur antisemitische und deutschnationale Kreise, in denen Chamberlain großen Anklang fand. Auch Kaiser Wilhelm II, D. H. Lawrence, Albert Schweitzer und Winston Churchill waren von ihm angetan.
Chamberlains Werk, das den Germanen als die kulturschöpferische Rasse pries und ihr die Verantwortung für die Aufrechterhaltung christlicher Kultur und Schutz vor dem Judentum zuschrieb, wurde ebenso von der völkischen Bewegung intensiv rezipiert.
Beflügelt durch den großen Erfolg, verfasste Chamberlain zahlreiche Aufsätze zu Richard Wagner und Bayreuth wie auch einige Bühnenstücke und viele Monographien, unter anderem auch eine Einführung in das Werk Immanuel Kants, welche 1905 erschien.
Zwischenzeitig kühlte die Beziehung zu seiner Frau Anna ab und nach einer einvernehmlichen und schnellen Scheidung, heiratete Chamberlain 1908 seine zweite Frau, Eva Wagner, die Tochter von Richard und Cosima Wagner. Seitdem verbrachte er sein Leben relativ ruhig in Bayreuth im Kreise der Wagner-Familie.
Chauvinist mit anti-englischer Gesinnung
In diesen Jahren schrieb Chamberlain nur eine einzige Monographie – eine Abhandlung über das Leben und die Werke Goethes, die 1912 publiziert wurde. Auch einige Aufsätze zu Goethe, Wagner und Kant brachte er aufs Papier und genoss sein Leben als populärer Autor.
Das Säbelrasseln zwischen seinem gelobten Land Deutschland und seiner alten Heimat England löste in Chamberlain einen Bewusstseinswandel aus, der zu einer Flut an Publikationen beitrug, die Kriegsursachen und -folgen thematisierten. Er veröffentlichte chauvinistische Aufsätze, die im Speziellen gegen sein Mutterland England gerichtet waren. Den Kriegseintritt Englands auf Seiten der Entente sah Chamberlain als Verrat an der gemeinsamen „Rasse“.
Im April 1916 wurde Chamberlain deutscher Staatsbürger, was ihm in der britischen Presse den Ruf eines Abtrünnigen einbrachte und sein dortiges Image maßgeblich schädigte. Daraufhin veröffentlichte er die Arische Weltanschauung. Zwei Jahre später erscheint die Schrift Rasse und Nation.
Nicht nur die Niederlage des Deutschen Reiches setzte Chamberlain zu. Aufgrund einer Quecksilbervergiftung gelähmt, ging sein schriftstellerisches Schaffen deutlich zurück. Seine letzte größere Publikation war eine autobiographische Sammlung von Briefen und Texten, die er 1922 veröffentlichte.
Chamberlains letzte Schaffensphase
1923 traf Chamberlain mit dem damals 34-jährigen Adolf Hitler zusammen, der ein Fan seiner Werke war. Der Besuch Hitlers in seinem Haus kurz nach dem Deutschen Tag von Bayreuth hinterließ bei Chamberlain großen Eindruck, den er auch in einem Brief an Hitler bekundete:
Sie sind überhaupt nicht der Fanatiker, als welcher Sie mir beschrieben worden sind. […] Ein Fanatiker entflammt den Geist. Sie wärmen das Herz. Ein Fanatiker will die Menschen mit Worten überwältigen; Sie wollen überzeugen, nur überzeugen, und das ist der Grund, warum Sie erfolgreich sind. ~ Geoffrey Field in “Evangelist of race. The Germanic vision of Houston Steward Chamberlain”
Der österreichische Kulturphilosoph Rudolf Kassner sieht in dieser und ähnlichen Aussagen Chamberlains dessen Naivität und fehlenden historischen Sinn.
Im selben Jahr erschien eine Gesamtausgabe von Chamberlains Werk in neun Bänden. Bis zu seinem Lebensende stand Chamberlain der Weimarer Republik ablehnend gegenüber und lehnte ebenfalls das demokratische System ab. Er hielt an der Meinung fest, dass es dem Wesen des deutschen Volkes nicht entsprach.
1925 folgte die Veröffentlichung der Abhandlung Rasse und Persönlichkeit. Am 9. Januar 1927 starb Chamberlain in Bayreuth im Alter von 71 Jahren. Die Trauerfeier und anschließende Einäscherung fanden auf dem Coburger Stadtfriedhof statt. Unter den Anwesenden waren unter anderem Ernst von Hohenlohe-Langenburg, Wilhelm von Preußen und Adolf Hitler.
1928 erschien eine posthume Publikation von Chamberlains Briefwechsel mit Kaiser Wilhelm II. Zudem war er von 1922 bis zur seiner Aberkennung 2013 Ehrenbürger der Stadt Bayreuth, welcher er eine große Erbschaft hinterließ. In seinem Wohnhaus befindet sich heute das Jean-Paul-Museum.