Eine Variation ist ein Teil einer Komposition, der die Melodie, Harmonik, Rhythmik sowie Dynamik eines Themas verändert. Auf genau diese Weise variierte auch Johannes Brahms 1863 Robert Schumanns „Geistervariationen“ und schuf daraus sein Opus 23 in Es-Dur für Klavier zu vier Händen.
Brahms’ Op. 23 gespielt von Sofija Janjikopanji und Pietro Pittari
Dieses letzte Werk komponierte Robert Schumann 1854 bevor er in die Nervenheilanstalt Bonn-Endenich eingeliefert wurde. Seine Gattin Clara notierte in ihrem Tagebuch:
[In der Nacht vom 17. auf den 18. Februar] stand Robert immer wieder auf und schrieb ein Thema, welches ihm die Geister Schuberts und Mendelssohns vorsangen, und über welches er für mich ebenso rührende wie ergreifende Variationen machte.
Schumann berichtete in jenen Tagen, er wäre von Geistern umgeben, die ihm sowohl „wundervolle“ als auch „gräßliche“ Musik darboten, ihn „in die Hölle [zu] werfen“ drohten und ihm ebenso „herrlichste Offenbarungen“ verkündeten. Vor allem glaubte er, dass Schuberts Geist zu ihm spreche. Tage später stürzte er sich unerwartet und lediglich halb bekleidet in den eisigen Rhein. Nachdem er gerettet und wieder zurück nach Hause gebracht worden war, setzte er seine Arbeit an den „Geistervariationen“ fort. Bereits einen Tag später schloss er sein Werk ab und schickte das Manuskript seiner Frau, die schon am Abend zuvor auf ärztlichen Rat hin zu ihren Bekannten gezogen war.
Aribert Reimann – deutscher Pianist, Komponist und Musikwissenschaftler –, ist sich sicher, dass Schumanns Sprung in den Rhein zwischen der vierten und fünften Variation erfolgt sein musste, da die letzte Variation eine gänzlich andere Struktur aufweist, als es bei den vorhergehenden Variationen der Fall ist.
Das Original – Schumanns „Geistervariationen“ gespielt von Grigori Sokolow
Robert Schumann war zeitlebens ein großer Bewunderer Franz Schuberts. Als er von dessen frühen Tod erfuhr, stürzte ihn das 1828 in viele depressive Krisen. Während er elf Jahre später Schuberts Bruder in Wien besuchte, entdeckte er die noch unveröffentlichte 9. Symphonie und bat Mendelssohn sie uraufzuführen. Seinem Freund Becker schwärmte er von der Probe vor und sah „alle Ideale [seines] Lebens“ in diesem Werk verkörpert.
In der Tat klingen Schumanns „Geistervariationen“ sehr nach Schubert. Dennoch entging Schumann, dass er eigentlich sich selbst zitiert hatte – nämlich das Thema aus dem langsamen Satz seines 1853 entstandenen Violinkonzerts.
Clara Schumann war selbst eine angesehene Pianistin und Komponistin. 1853 lernte sie den 14 Jahre jüngeren Johannes Brahms kennen und schätzen. Vor allem nach Schumanns Einlieferung in die Nervenheilanstalt wurde der Kontakt zwischen den beiden intensiver. Aus dem Briefwechsel zwischen Clara und Brahms geht hervor, dass die beiden ineinander verliebt waren. Brahms teilte mit ihr sogar eine Wohnung in Düsseldorf.
Womöglich war diese spezielle Verbindung zwischen den beiden ein Mitgrund dafür, dass sich Brahms mit Schumanns „Geistervariationen“ auseinandersetzte. Immerhin waren sie das Letzte, was Clara von ihrem Mann blieb.