Die Warao – Volk der starken Frauen

Warao-Dorf im Flussdelta des Orinoco

Die Warao sind ein indigenes Volk in Venezuela. Die rund 30.000 Angehörigen leben in circa 250 einzelnen Siedlungen im Flussdelta des Orinoco und das bereits seit gut 9000 Jahren. Sie konnten weder von den spanischen Eroberern unterworfen noch kolonialisiert werden. Weil sich die Warao-Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten mehr als verdreifacht hat, stellt sie gegenwärtig die zweitgrößte indianische Ethnie in Venezuela dar. Obwohl sich die Warao langsam an die „westliche Kultur“ anpassen, halten sie dennoch an ihren Brauchtümern fest und begehen Riten wie vor Hunderten von Jahren. Doch das wohl interessanteste Charakteristikum ihres sozialen Lebens ist die besondere Stellung der Frau.

Die Frau an der Spitze der Hierarchie

Kinder der Warao

Warao-Mädchen lernen schon früh ihre priviligierte Stellung innerhalb der Warao-Gesellschaft kennen. (© Anagoria, via Wikimedia Commons)

Das Volk der Warao lebt in einer matrilokalen Gesellschaft. Diese Bezeichnung nimmt Bezug auf die lateinischen Wörter mater „Mutter“ sowie locus „Ort“ und meint eine Wohnfolgeordnung, bei welcher der Mann nach der Heirat zur Familie seiner Frau zieht. Um in seiner neuen Heimat in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden, muss er sich erstmal als fähig und nützlich erweisen. Dazu muss der Schwiegersohn traditionell ein Jahr lang für seine Schwiegereltern arbeiten und seinen Erwerb  (hauptsächlich aus dem Fischfang) in den Haushalt der Schwiegereltern einbringen. Zudem wird von ihm erwartet ein Haus zu bauen, einen Gemüsegarten anzulegen wie auch einen Einbaum anzufertigen. Die dafür notwendige Ausbildung erhält der junge Bräutigam vorwiegend von seinem Schwiegervater. Geht die Ehe später auseinander, wird sowohl das alleinige Sorgerecht für die Kinder wie auch der gesamte Besitz der Frau zugesprochen.

Wie man daraus bereits ersehen kann, bilden die Warao-Frauen die Grundlage der Gesellschaft und haben viele Privilegien, die von den Männern als ganz selbstverständlich akzeptiert werden. Sie selbst müssen das verdiente Geld nicht dem elterlichen Haushalt beisteuern. Dennoch lockern sich diese Strukturen allmählich zugunsten der männlichen Bevölkerung, da die Lohnarbeit den jungen Männern bereits sehr früh zur Unabhängigkeit verhilft.

Die Frau als Stimme der Moral und Kräuterkundige

Auch wenn bei den Warao eine strikte Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen vorherrscht – dies trifft auch dann zu, wenn sie gemeinsam in Gruppen arbeiten –, so sind beide Geschlechter an sämtlichen wichtigen rituellen und wirtschaftlichen Verrichtungen im gleichen Ausmaß beteiligt. Nichtsdestotrotz obliegt es den Frauen bei Streitigkeiten Kommentare laut auszusprechen oder auch offen Kritik zu üben.

Während sich Männer das schamanische Wissen erst nach der Menopause aneignen dürfen, haben Frauen bereits vor der Menopause Zugang dazu. Neben der schamanischen Medizin kennen die Warao aber ebenso eine Naturmedizin, welche auf der Kenntnis örtlicher Heilpflanzen beruht. Für diesen Bereich sind jedoch ausschließlich die Frauen verantwortlich. Diesbezügliche Informationen werden von den Müttern an die Töchter tradiert.