Der Glaube und religiöse Anschauungen sind Phänomene, die die Wissenschaft schon seit Langem beschäftigen. Woher stammt dieses Bedürfnis nach unerschütterlichen Wahrheiten? Warum ist die Tendenz zum Glauben so tief in der menschlichen Psyche verankert?
Der Begriff Glaube ist sehr vielschichtig und daher, je nach Kontext, unterschiedlich interpretierbar. Im Alltagsgebrauch ist das Verb glauben gleichbedeutend mit „für möglich und wahrscheinlich halten“, „fälschlich annehmen“, „für richtig halten“ oder „jemandem bzw. einer Sache vertrauen“.
Von diesen Bedeutungen hebt sich der religiöse Glaube deutlich ab. Dieser postuliert nämlich absolute, nicht falsifizierbare „Wahrheiten“, welche durch „heilige“ Bücher, „besondere“ Menschen und Offenbarungen vermittelt wurden.
Noch vor wenigen Jahren hieß es, religiöse Gläubigkeit sei ein kulturell bedingtes Phänomen. Man bedenke hier beispielsweise den Aspekt der Gruppenbildung und der damit einhergehenden gruppenspezifischen Kooperation. Doch neuere Forschungserkenntnisse weisen darauf hin, dass Religiosität weitaus tiefer verwurzelt ist, als bisher angenommen. Sogar bei höher entwickelten Tieren ist sie ansatzweise zu finden!
Einige Forscher sehen die Entwicklung von Gläubigkeit in der Kausalität begründet. Diese bezeichnet die Beziehung Ursache-Wirkung und meint, dass jeweils ein ursächliches Ereignis oder Zustand eine bestimmte Wirkung herbeiführt. Im Gegensatz dazu ist das Konzept des Zufalls evolutionär sehr jung und den Naturvölkern noch heute völlig fremd. Die Annahme, dass etwas ohne besonderen Grund geschieht, liegt nicht in unserer Natur.
Das permanente Leben mit intentionalen Annahmen ist ein charakteristischer Wesenszug höher entwickelter Lebewesen. Die Hirnforschung hat sogar nachgewiesen, dass das Gehirnvolumen mit dem Intentionalitätsannahmevermögen steigt! Ebenso hegt das Gehirn eine Vorliebe für Ausnahmen, Anomalien und Rätselhaftes, da die selektive Wahrnehmung schon immer zum menschlichen Überlebensrepertoire dazugehörte.
Entwicklungstechnisch gesehen, sind sowohl Menschen als auch Tiere darauf programmiert, Muster und Regelmäßigkeiten zu erkennen. Der Spracherwerb bei Kleinkindern basiert zum Beispiel größtenteils auf Mustererkennung. Außerdem vermindert diese Fähigkeit die Angst vor der Unkontrollierbarkeit und Unvorhersehbarkeit des Lebens.
Ferner weisen Untersuchungen zu bewusstseinsverändernden Zuständen wie Meditation, Trance oder Hypnose darauf hin, dass die Neigung zur Gläubigkeit ebenfalls im Erbgut und die Glaubensausprägung kulturell verankert ist. Manche Wissenschaftler nehmen sogar die Existenz eines „Gottes-Gens“ beziehungsweise eines „Gottes-Moduls“ im menschlichen Gehirn an. Ebenso die Hartnäckigkeit, mit der sich religiöse Überzeugungen in allen Weltkulturen halten, lassen eine genetische Grundlage vermuten.
Die Urform von Gläubigkeit stellt der Animismus dar. Hier werden unsichtbare Akteure durch Opfer besänftigt. Ihnen werden bestimmte Intentionen zugeschrieben, welche wiederum entsprechende rituelle Verhaltensweisen erfordern.
Die Volksreligionen bilden die nächste Entwicklungsstufe, wobei sie zwar Vermittler (Schamanen) zur Vollziehung religiöser Rituale einsetzen, jedoch noch keine Schrift oder Hierarchien haben.
In höher entwickelten, organisierten Religionen hingegen, wirken Priester und Theologen als Verwalter religiösen Gedankenguts. Auch die Religionsinhalte sind ausgefeilter und sind in Form von „heiligen“ Schriften oder etwa Initiationsriten wie Taufe, Firmung etc. zu finden. Zudem durchdringt diese Form der Religiosität bereits alle Lebensbereiche von der Erziehung bis hin zur Politik.
Fasst man die Gesamtheit der bisher vorliegenden Erkenntnisse zusammen, so kann davon ausgegangen werden, dass (religiöse) Gläubigkeit eine genetisch bedingte, der menschlichen Natur entsprechende Erscheinung darstellt, welche sich im kulturellen Wandel memetisch evolviert und verfestigt hat.