Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem multiethnischen Bezirk irgendeiner deutschen Großstadt, beispielsweise Berlin-Kreuzberg, Berlin-Neukölln oder Hamburg-Altona, unterwegs, und Sie werden Zeuge einer Unterhaltung, die sich in etwa so anhört: „Wenn du nisch abhaust, Lan, machisch disch Messa, Alta! Ischwör!“ Und ein paar Sätze weiter: „Sie so: ,Lassma treffen. Isch so: ,Hastu Handy bei? Ischwör, Alta, war so.“
Bevor Sie ein zu vorschnelles Urteil über die betreffende Person fällen, sie in die Kategorie „Türke, der Deutsch zu sprechen versucht, aber dessen nicht mächtig ist“ einordnen und sie womöglich noch in eine konkrete Sozialschicht-„Schublade“ stecken, halten Sie kurz inne: Dieses Sprachphänomen, das von den Medien gelegentlich abwertend als „Kanak Sprak“ bezeichnet wurde, ist nicht etwa eine von Zuwanderern entwickelte Sondersprache, sondern in der Tat eine moderne Jugendsprache – das Kiezdeutsch.
„Kiez“ impliziert dabei einen bestimmten Sprachgebrauch von Jugendlichen innerhalb des von ihnen bewohnten Viertels bzw. „Kiez“. Kiezdeutsch ist ein Sprachmix aus Deutsch, Türkisch, Arabisch, Kurdisch, Russisch und Vietnamesisch, wobei der neue Wortschatz hauptsächlich aus der türkischen Sprache bezogen wird. Warum sollten Neologismen denn auch nur aus dem Englischen, Lateinischen, Französischen oder Italienischen Inspiration schöpfen? Damit setzt Kiezdeutsch die Tradition von Jugendslangs fort, die bereits seit dem 19. Jahrhundert wie auch in den 50er, 60er, 70er, 80er und 90er Jahren auftraten.
Kiezdeutsch kann als Produkt der Globalisierung gesehen werden und wird sowohl von Jugendlichen mit als auch ohne Migrationshintergrund als Zeichen eines Solidaritätsgefühls gesprochen. Insofern ist die Jugendsprache ein Ausdruck erfolgreicher Integration verschiedener Gesellschaftsgruppen und ist in ihrer Verwendung unter Jugendlichen ein Symbol für Normalität.
moruk Alter (umgangssprachlich)
lan Mann, Typ
wallah Ich schwör‘!
yallah Los!
hadi Los!
Jugendliche wenden Kiezdeutsch nur bei ihresgleichen an. So grüßen sie ihre Freunde zum Beispiel mit einem arabischen „Yalla“, während sie Erwachsenen weiterhin einen „Guten Tag“ wünschen. Ebenso kommt die multiethnische Jugendsprache insbesondere bei Begrüßungen, Verabschiedungen, Bewertungen sowie Verstärkungen zum Einsatz, und bietet vor allem in Bereichen, die mit Sexualität und Geld zu tun haben, ein zusätzliches Sprachventil.
In ihrem Vortrag „Kiezdeutsch und wie man es benutzt“ erklärt die Sprachwissenschaftlerin Maria Pohle auf humoristische und leicht verständliche Weise, was den Reiz dieser neuen Jugendsprache ausmacht und veranschaulicht anhand einer Studie, dass Jugendliche je nach Gesprächspartner und Situation durchaus bewusst wählen, ob sie sich nun in Kiezdeutsch oder Hochdeutsch ausdrücken.